Die russische Invasion der Ukraine und die daraufhin verhängten Sanktionen sind die jüngsten Einschläge auf die ohnehin schon gebeutelten globalen Lieferketten. Das betrifft zahlreiche Branchen und Industrien von der Halbleiterindustrie über den Automotive-Sektor bis hin zur Lebensmittelversorgung, wie man es in den Supermärkten aktuell wieder sehen und spüren kann.
Werden wir in der Folge nun eine massive Verschiebung der Beschaffung vom globalen Offshoring zu einer stärker regionalen oder sogar lokalen Versorgung sehen?
Dazu ein kurzer Rückblick: In den 1990er Jahren verfolgten Unternehmen verstärkt Outsourcing- und Offshoring-Strategien, um Kosten zu sparen und Wettbewerbsvorteile zu erlangen. In diesem Zuge entwickelte sichChina zur sogenannten Werkbank der Welt.
Es gab immer schon Kritiker einer solchen Entwicklung. Besonders in der Folge politischer Krisen wie der Finanzkrise 2008 oder nach Naturkatastrophen wie den Tsunamies der Jahre 2004 und 2011 wurden hier und da die in den 90er-Jahren implementierten Offshoring-Strategien in Frage gestellt, weil in solchen Krisen die stärkeren Abhängigkeiten und verringerten Reaktionsmöglichkeiten besonders erkennbar wurden.
Angesichts der Vorteile, die aus der Beschaffung aus Niedriglohnländern wie China und anderen asiatischen Ländern erwuchsen, wardieser Wandel jedoch nie wirklich grundlegend. Im Gegenteil: In den letzten10-15 Jahren stieg die Produktion des verarbeitenden Gewerbes in Asienkontinuierlich weiter und im Jahr 2019, also kurz vor der Pandemie, entfielenfast 30% der weltweiten verarbeitenden Produktion auf China.
In den letzten vier Jahren indes gab es nun erneut massive negative Auswirkungen auf die globalen Lieferketten: Der Handelskrieg zwischen China und den USA unter Trump hat deutlich gemacht, wie schnell und massiv sich politische Richtungsänderungen auf das weltweite wirtschaftspolitische Klimaauswirken können. Dann hat die Corona-Pandemie über zwei Jahre die eingespielten logistischen Prozesse immer wieder durcheinander gewirbelt undbei den betroffenen Unternehmen ein massives Umdenken in Richtung Lokalisierung der Lieferketten ausgelöst. Die Folge: Eine wachsende Zahl an Unternehmen erklären heutzutage in Befragungen mittlerweile die Absicht, Standorte entsprechend zurück zu verlagern.
Nun kommen die nächsten Einschläge: der Ukraine-Krieg und die Annäherung zwischen China und Russland werden den Austausch von Energie, Rohstoffen und Waren zwischen der westlichen Welt, China und Russlandtiefgreifend verändern und den erstarkenden Trend zum Near- und Re-Shoring noch beschleunigen.
In Europa mussten bereits Unternehmen wie beispielsweise Volkswagen und BMW ihre Montagelinien in Deutschland wiederholt schließen, weil es an Chips aus Fernost oder jetzt an Kabelbäumen aus der Ukraine mangelt.
Da die Öl- und Gaspreise aufgrund des Krieges in die Höheschießen, werden auch die Transportkosten entsprechend steigen. Hinzu kommen die Einschränkungen bei der Nutzung der russischen Verkehrsinfrastruktur zum Transport der Güter aus Asien. Die neue Seidenstraße liegt auf absehbare Zeit auf Eis. Eine Verlagerung auf den Luftweg ist zu teuer und auch keine Alternative, vor allem jetzt, da die Fluggesellschaften Russland umfliegen müssen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass westliche Unternehmen die mit globalen Lieferstrukturen verbundenen Risiken nun genau prüfen und einen verstärkten Einkauf vor der Haustür in Betracht ziehen werden, auch wenndies substantielle Preiserhöhungen mit sich bringen wird.
Aber diese Verlagerungen brauchen Jahre und Jahrzehnte. Da China heute eine dominante, wenn nicht sogar die einzige Quelle für Abertausende von Komponenten ist, wird die Verringerung der Abhängigkeit von China in vielen Fällen erhebliche Investitionen und Zeit erfordern.
Vor diesem Hintergrund ist absehbar, dass die Herausforderungen für globale Lieferketten kurzfristig weiter zunehmen und für Jahre fortbestehen werden. In dieser Phase wird Unternehmen ein Höchstmaß an Flexibilität und taktischer Schnelligkeit im operativen Supply Chain-Management abverlangt werden.